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ANIMALS – Vernisage

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Laudatio: Konstanze Schwarzwald; Performance: inox kapell schrill schoh entdeckt ´the orchestra of the last earth`

Öffnungszeiten: Mo bis Fr: 16 bis 20 Uhr; Sa/ So: 11 bis 20 Uhr
Führungen: Mo bis Fr: 18 Uhr; Sa / So: 15 und 17 Uhr

Der Umgang mit Tieren wird in der heutigen Zeit häufig als Gradmesser für die sittlich-moralische Reife einer Gesellschaft gesehen und dokumentiert den Abstieg der Tiere zu kulturellen Symptom- und Projektionsträgern. Dabei wird der Wert der Tiere vom Menschen, in Abhängigkeit von der jeweiligen kulturellen Prägung, in materiell-wirtschaftlichen, persönlich-emotionalen und moralischen Kategorien festgelegt. Tiere sind zu Elementen und Argumenten im Verständigungs- und Rechtfertigungsprozess des Individuums mit der Welt und sich selbst geworden. Sie sind eingebunden in die Selbstdefinition und fungieren als Medium der Auseinandersetzung mit der eigenen Unklarheit. Deshalb werden sie in der Kunst als Assoziationshülle des Menschen genutzt und verstanden. Diese Analogie ermöglicht es Künstlern, sich des Mediums Tier zu bedienen, um sich mit Problemstellungen und Konflikten der menschlichen Natur und Gesellschaft auseinander zu setzen. Darüberhinaus dient dieses Spiegelverhältnis als Projektionsfläche des Selbstverständnisses der eigenen Leiblichkeit und wird genutzt, um die symbolische Grenze von Mensch und Tier zu hinterfragen. Denn obgleich der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, das Schöpferkraft und die Fähigkeit zum symbolischen Denken besitzt – so ist er doch durch seine leibliche Existenz und sein körperliches Wissen in Form von Instinkten, der Tierwelt verbunden. „Animals“ verweist in diesem Zusammenhang über das augenscheinliche Verhältnis von Mensch und Tier hinaus auf eine andere Bedeutungsebene – den inneren Dualismus in der menschlichen Natur selbst – auf das „Tier in uns“. Dabei ist es die Gesellschaft, welche die Impulse unterscheidet in jene, die sozial akzeptiert werden und solche, die kulturell tabuisiert sind. Die metaphorische Ersatzfigur Tier spielt in der Auseinandersetzung mit Instinkten, den im Unterbewusstsein verborgenen archaischen Trieben und dem animalischen Verhalten eine bedeutende Rolle. Sie ermöglicht das Einnehmen von Perspektiven, die die Natur des Menschen – der über die anderen Lebewesen dieses Planeten scheinbar erhaben ist – als ambivalent und dualistisch, das Animalische unterdrückend, entlarven. Diese kollektive Verleugnung der Menschheit vom Tier in sich selbst, veranschaulicht die Sinnkrise des Verhältnisses von Mensch und Tier – die Krise des Animalischen. Sie wird häufig mit dem Fall von Masken der Zivilisation assoziiert, die die als unangenehm wahrgenommene Tiernatur sichtbar machen und die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung gefährden. Das Animalische zeigt sich in der Ausstellung in allen Modifikationen der modernen Leibverachtung und Zerstörung und in dem Wunsch das Humane zu transzendieren.

Ralf Kleinemas

Ralf Kleinemas‘ Werk zwingt den Betrachter einer Tierschlachtung beizuwohnen. Diese notwendige Etappe im Prozess der Nahrungsmittelgewinnung ist in der heutigen Zeit für viele Städter ein ungewöhnlicher Anblick. Somit fungiert der Film als Medium zur Erinnerung an eine andere Seinsweise, in der die Abhängigkeit des Menschen vom Tier existentiell und unmittelbar und auch das Töten der eigenen Haustiere noch Teil des gemeinsamen Lebens war. Das agraische Haustier verschwindet zunehmend aus der Gesellschaft. Einhergehend mit diesem Prozess tritt die Fleischnahrung ihren Triumphzug an und mit ihr eine neue Kategorisierung, eine Unterteilung in Schoßtiere und Nutztiere. Letztere, vom Rest der Tierwelt getrennt, erfahren auf Grund ihrer Verwertbarkeit für den Menschen eine abstrakte Transformierung. Der Begriff Nutztier wird vor allem anderen mit „Produkt“ und „Rohstoffmaterial“, sowie industrieller Tieraufzucht und -verwertung assoziiert. Dadurch, dass jene Prozesse der Verarbeitung für viele Menschen nicht mehr unmittelbarer Bestandteil des Alltags sind, erwecken sie meist Gefühle der Ablehnung. In seiner Videoinstallation nutzt Ralf Kleinemas dieses Phänomen. Er verzichtet auf den subjektiven Blick, indem er einen Freund, der kein Blut sehen kann, zwingt, diese Schlachtung zu filmen. Die wackelige Kameraführung legt die Abscheu des Freundes offen, der versucht, sich dem Geschehen immer wieder zu entziehen. Seine Empfindungen wirken durch die voyeuristisch anmutende Perspektive der Kamera glaubwürdig und stimulieren hintergründig die Empathiefähigkeit des Zuschauers. Die Ablehnung und Empörung des Betrachters werden als Schutzmechanismen aufgedeckt, die ihn selbst als Involvierten entlarven. Auf diese Weise legt der Künstler den Verdrängungsmechanismus einer Gesellschaft bloß, in der jeder indirekt an der Verwertung beteiligt ist, indem er Endprodukte konsumiert, deren Herstellung das Töten von Tieren miteinschließt. Somit symbolisiert der Tod des Tieres in dieser Arbeit einen unerwünschten Spiegel des menschlichen Nicht-Wissen-Wollens und des gesellschaftlich organisierten Vergessens.

Sandro Porcu

Die im Gegensatz zur biologischen Realität stehende Haltung und Zurschaustellung von Tieren in Gefangenschaft steht auf visueller Ebene im Mittelpunkt der hier gezeigten Arbeiten von Sandro Porcu. So wie der Käfig den Vogelleib gewaltsam umschließt, so ist der Koffer ein Gefängnis für die täuschend echt wirkende Attrappe eines Ferkels. Dieses Herauslösen der Tiere aus ihrem natürlichen Umfeld und das Einsperren in einem lebensfeindlichen Raum offenbart die vollkommene Verfügung des Menschen über domestizierte Tiere. Das bedrohliche Moment der Werke von Sandro Porcu liegt in der Verhinderung von Bewegung, im Eingeschlossen-Sein in einem beengten, künstlich erzeugten, zivilisatorischen Raum. Gleich einer Jagdtrophäe wird die „Beute“ präsentiert und scheint somit den Zweck eines Statussymbols zu erfüllen, das als Beweis für die Überlegenheit des „Bezwingers“ steht. Die Tiere stehen in diesem Zusammenhang auch für die Macht des Menschen über den Tod hinaus, weil sie nicht exemplarisch für ihre Art, sondern stellvertretend für alle „erbeuteten Tiere“ wahrgenommen werden. Die Objekte verweisen auf grausame Machtspiele, die den Menschen als Täter und das Tier als Opfer von Gewalteinwirkung entlarven. Darüber hinaus spielen sie auf die Fähigkeit des Menschen an, Grausamkeit als Überlegenheitsdemonstration zu instrumentalisieren. Die überspitzte Darstellung durch den viel zu kleinen Käfig und und die befremdliche Kontextualisierung von Schwein und Koffer unterstreicht das Anliegen, Offensichtliches für den Betrachter fassbar zu machen. Die Arbeiten von Sandro Porcu verweisen zwar augenscheinlich darauf, was Menschen Tieren antun, dehnen den Konflikt jedoch auch auf eine andere Bedeutungsebene aus. Sie sind ein Spiegel unseres gesellschaftlichen Systems, einer Welt aus der kein Ausbruch möglich scheint. Die Werke fungieren als Projektionsfläche für bestehende Ängste und Probleme und deuten an, was Menschen anderen Individuen, aber vor allem sich selbst antun. Die in den Objekten enthaltenen Anspielungen auf unerfüllte Sehnsüchte und Triebe, die gewaltsam unterdrückt werden, können analog auf den modernen Menschen übertragen werden. Als Teil eines sozialen Systems ist er gezwungen, seine Instinkte zu beherrschen, sich dem Gemeinwohl unterzuordnen, um den sozialen Konsens nicht zu gefährden.

Michiko Nakatani

Die zarten Zeichnungen von Michiko Nakatani setzen sich mit den verschiedenen Facetten der interartlichen Beziehung von Mensch und Tier auseinander. Die Integration des Tieres in die menschliche Partnerschaft, als Ergebnis der Neuauffassung des Mensch-Tier-Verhältnisses und einem erwachten Körper- und Leibinteresse, hatte die Entstehung der neuen Kategorie der Schoßtiere und städtischen Haustiere zur Folge. Durch Isolation von ihren Artgenossen und die damit einhergehende Konditionierung durch den Menschen wurden sie in ein Abhängigkeitsverhältnis gedrängt, das sie vollkommen zu Geschöpfen der Lebensweise ihrer Besitzer werden ließ – in allen physischen Bedürfnissen von ihren Haltern abhängig. Innerhalb dieses unausgewogenen interartlichen Verhältnisses werden sie zu Trägern der individuellen Welt ihres Besitzers, in der sie für die seelischen und kommunikativen Komfortbedürfnisse des Menschen in Anspruch genommen werden. Derart in die Selbstdefinition des Menschen eingebunden, dokumentieren „pets“ den Abstieg domestizierter Tiere im zivilisatorischen Alltag zu kulturellen Symptom- und Projektionsträgern. Tierliebe darf nicht bedeuten, „Tieren die Luft zum Atmen“ zu nehmen, wie es dem Fisch in den Zeichnungen der Künstlerin im wörtlichen Sinne wiederfährt, dem, aus dem Wasser genommen und als Kuscheltier umfunktioniert, keine Chance für das Überleben bleibt. Laut Michiko Nakatani wehrt sich der Fisch im Todeskampf und presst alle im Leib befindlichen Eier aus dem Körper, derer so viel, dass seine Peinigerin davon fast weggeschwemmt wird. Diese vollkommene Verfügung über domestizierte Tiere steht der Möglichkeit einer Rückintegrierung in ein intaktes Mensch-Tier Verhältnis im Wege, das auf inhaltlicher Ebene im Fokus der Arbeiten von Michiko Nakatani steht.

Tamás Komoróczky

Bei dem Gedanken an etwas Artfremdes, Lebendiges in unserem eigenen Leib, das nicht unserer unmittelbaren Einflussnahme unterliegt, kommen Gefühle des Unbehagens, der Abscheu und des Kontrollverlustes auf. Parasiten wie der Bandwurm befallen den menschlichen Körper, nisten sich in den Eingeweiden ein und zwingen zur gemeinsamen Existenz. Diese unfreiwillige Einbindung des Menschen in den natürlichen Lebenszyklus eines anderen Tieres gemahnt an die enge Mensch-Tier Verbindung und ist gleichzeitig ein Bild für das Tier im Menschen im wörtlichen Sinne. Diese „verkehrte Welt“ in welcher der Mensch das Opfer, der Unterlegene ist, dessen Leib durch etwas als Unreines empfundenes entweiht wird, offenbart die Unaussprechlichkeit der Leibesverletzung. Diese Thematik ironisiert Tamás Komoróczky in seiner Videoarbeit „Domestication of the tapeworm“ und zeigt eine unkonventionelle Lösung. Der Bandwurm wird unter Mühen und Aufbietung aller Kräfte aus seiner natürlichen Umgebung gerissen und der Lebensweise seines Wirtes angepasst. Das Fremde wird unterworfen und unterliegt somit endlich der Kontrolle des Menschen. Durch die Domestizierung und Angleichung an die menschliche Lebensweise schwindet die Bedrohung, die dieser unfreiwilligen Co-Existenz innewohnt. Die Unversehrtheit des Körpers wird wieder hergestellt. Auf ironische Weise spielt der Künstler hier auf der metaphorischen Ebene mit der Angst des Menschen vor den eigenen Abgründen, der animalischen Seite des Unterbewusstseins, die unter der Oberfläche des zivilisierten sozialen Ichs im Dunklen lauert und unterdrückt werden muss, um den gesellschaftlichen Konsens nicht zu gefährden. Die Angst, von niederen Instinkten oder Lebensformen übermannt zu werden, ist eine Bedrohung für die gesamte Zivilisation und ihre Daseinsform. Diese Bedrohung versinnbildlicht den Kampf der menschlichen Seite mit seinen animalischen Trieben, des Bewusstseins mit dem Unterbewusstsein.

Auch die zweite Arbeit von Tamás Komoróczky spielt mit dieser Angst und dem Dualismus im Menschen. Auf visueller Ebene rückt das Interesse am metaphorischen Tier im Menschen in den Vordergrund. In der Videoinstallation „OCD (Then klick)“ verwandelt sich der Künstler vor den Augen des Betrachters in einen Wolfsmenschen, indem er seine eigenen Haare abschneidet und sein Gesicht damit maskiert. Die Konfrontation des Ichs mit dem Fremden eröffnet dem Künstler die Möglichkeit, die Welt, wie sie uns vertraut ist, zu hinterfragen. Der Mensch-Tier-Hybrid wird somit zum Experimentierraum des Künstlers, um unbewusste Identitäten oder unterdrückte Urinstinkte zu erforschen. Der tierische Teil dieses Mischwesens steht für Grenzbereiche des Menschlichen, das Animalische und die Verbindung zur Natur. In diesem Zusammenhang wird dem Tierischen all jenes zugeordnet, was besser im Verborgenen bleiben sollte. Eine Assoziation, die sich dem Betrachter der Arbeit aufdrängt und vom Künstler angestrebt wird, ist die des Werwolfs. Als ein häufig verwendetes Thema in Mythen, Literatur und Film, hat es – allem rationellen Denken zum Trotz – in der Phantasie und im Aberglauben vieler Menschen überdauert. Werwölfe werden als Inkarnation von Triebhaftigkeit, Unkontrollierbarkeit und männlicher Aggression verstanden. Besonders die Unterdrückung der als Aggression verstandenen natürlichen Instinkte, die Tieren ein wichtiges und notwendiges Mittel im Überlebenskampf sind, scheinen in der heutigen zivilisierten Welt ihre Funktion zu Gunsten einer gesellschaftlichen Ordnung eingebüsst zu haben. Eine soziale Toleranz gegenüber ausgelebten Trieben ist nicht existent, denn sie hätte den Zerfall dieser Gemeinschaft zur Folge. Demnach versinnbildlicht die Lykanthropie den Kampf des Animalischen und der Vernunft ebenso wie die Behauptung der Ordung gegenüber der Anarchie. Die Verwandlung als aktive und freiwillige Handlung mit körpereigenem Material, legt die Assoziation nahe, dass das Potential zur Verwandlung in jedem von uns steckt und die Grenze von Zivilisation und Natur durchlässig ist.

Laura Bielau

Laura Bielau dokumentiert mit ihrer Serie „SCUD“ die Einflussnahme des Menschen auf das Tier im Leben und über den Tod hinaus. Ihre Fotografien sind das Ergebnis der Zusammenarbeit mit einem Präparator, dessen Arbeit sie mit der Kamera verfolgte. Obwohl alle abgebildeten Tiere in der Umgebung eines Kernkraftwerkes gelebt haben, hat die Serie nicht den Anspruch, diesen Hintergrund wissenschaftlich zu hinterfragen oder zu klären. Sie verdeutlicht dennoch das doppelte Eingreifen des Menschen in ein sensibles System. Die Arbeiten stellen einen unmittelbaren Bezug zum Menschen als Gestalter seiner Umwelt her, obwohl dieser in den Fotografien abwesend ist. Für diesen Eingriff stehen die verlassen wirkenden großformatigen Innenaufnahmen des Arbeitsplatzes Kraftwerk. Der Mensch wirkt in diesen Abbildungen stellvertreten durch die Technik, die er erschuf und von der er abhängig ist. Darüberhinaus dokumentiert die Serie die Macht des Menschen über das Tier, indem die Fotografien den Betrachter in den Prozess des Präparierens einbeziehen und diesemTransparenz verleihen. Es wird deutlich, dass die Tierkörper durch die Schöpfungskraft des Menschen verformt und das „Ausgangsmaterial“ Tier zu einem Objekt transformiert wird. Da die Präparate bereits eine Verfremdung in Form einer pseudonatürlichen Haltung und Leibesverletzung erfahren haben, sind sie zu einem Gegenstand menschlichen Handelns geworden. Diese Reduktion in der Bedeutung erfährt durch die schwarz-weißen Aufnahmen eine Verstärkung in Form von antiillusionistischer Abstraktion, da sie die zukünftige Bedeutung und den „Wert“ der Arbeiten als wissenschaftliche Objekte vorwegnehmen. Nadeln und Klammern, die Werzeuge des Präparators, betonen die Prozesshaftigkeit der Verwandlung und den schöpferischen Aspekt des Handwerkes gleichermaßen. Über diesen Verweis auf den Gestaltungsprozess hinaus, beschreibt die Arbeit eine Transformation. Der eingefangene Augenblick des Übergangs stellt eine Verbindung zwischen der toten Hülle, dem wissenschaftlichen Objekt in spe, und dem Lebewesen Tier und seiner verletzbaren Leiblichkeit her.

Hagen Wiel

„Geworfensein und Entwurf“ von Hagen Wiel ist nicht zu verstehen als Kampagne-Kunstwerk eines Tierschutz-Vereines, das die technischen Möglichkeiten und Technologien unserer Zeit paternalistisch verdammt und alles, was Natur ist bedingungslos-ängstlich unter Artenschutz der Unberührbarkeit ausliefern will. Vielmehr ist das Kunstwerk eine Thematisierung des Spannungsfeldes von leiblich-natürlicher Geworfenheit allen Lebens, somit auch dem des Individuums, als Natur, die einerseits in die Um- und Mit-Welt, in die Natur Hineingeborenes ist und andererseits den Technologien Verpflichtetes. Geschwindigkeit und Schnelllebigkeit birgt natürlich Gefahrenpotentiale, welche uns teilweise auch das Leben, unser natürliches Lebendigsein, nehmen können. Technologie und Machbarkeit soll nicht unter einen moralischen Generalverdacht gestellt werden und schwarzmalerisch – Paul Virilio in seinem Moderne-Pessimismus folgend – ein „Vor-die Wand-fahr-Szenario“ symbolisieren. Der abgebildete, durch Erfahrungen überfahrene, Vogel ist als individuelles existenzialutopisches Symbol möglicher individueller Selbstbestimmung und Freiheit von Lebendigkeit zu begreifen. Leben gründet sich in empraktischer Leibhaftigkeit und wächst über sich selbst hinaus bis in die explizitesten, sich über sich selbst steigernden, Formen des Selbstdenkertums als Umgangsweise des Einzelnen mit seinem Leben, als individuelle Selbstmacht in einer Welt, die genau diese Souveränität von uns als Menschen – und vor allem zunächst von uns als Individuen – verlangt. Der Vogel symbolisiert das Möglichkeitsfeld, das jeder für sich nutzen kann, um auch in einer Welt, die sinnlos geworden zu sein scheint, in der Gott tot ist, selbstmächtig zu handeln, trotz Vereinzelung und Einsamkeit der Individuen und der zahlreichen Verwundungen. Trotz allem Überfahren-Seins durch die Kälte vieler Ereignisse, die das Leben, das in seiner Eigenschaft, auch Lebensgefahr zu sein, notwendig einen Entwurf als Lebensentwurf, als Kunstwerk an sich selbst – als Lebenskunstwerk, verlangt!

Edgar Leciejewski

Die Ästhetisierung und Verklärung des Ausgangsmaterials „totes Tier“ durch den künstlerischen Schaffensprozess steht im Vordergrund der Arbeiten von Edgar Leciejewski.
Durch den Künstler erfolgt die Umwandlung von etwas Fremdem in etwas Vertrautes, wodurch ein neuer Sinnzusammenhang auf visueller und assoziativer Ebene geschaffen wird. Die Aufnahmetechnik durch das Medium Scanner und die anschließende Überarbeitung verleihen den Werken einen beinahe fotografisch anmutenden Charakter. Teilweise forciert der Künstler die Verfremdung der Tiere durch eingreifendes Arrangement des Korpus in Posen, die menschliche Gestiken nachahmen oder Bezüge zu kunsthistorischen Werken herstellen. Den Grad der Ästhetisierung erreicht der Künstler durch die Verwendung von verschiedenen Medien und Filtersystemen, die eine Distanz zum Betrachter erzeugen, die das unvoreingenomme Wahrnehmen des Kunstwerkes ermöglicht. Die Arbeiten offenbaren die Leidenschaft des Künstlers, eine Perfektion der Verklärung zu erreichen, bei der der Gedanke an das „Material“ Tier in den Hintergrund tritt und dessen tote Leiblichkeit für den Betrachter unfassbar bleibt. Die zum Teil gewählte ausschnittweise Abbildung verstärkt diesen Aspekt, da die Leiblichkeit des Korpus fragmentiert und letztendlich entmystifiziert und verneint wird. Das Zerteilen hat die Entindividualisierung des dargestellten Objektes zur Folge und fungiert als zusätzliches Filtermedium, das die Reizschwelle der Empathiefähigkeit für das abgebildete tote Tier weiter herabsetzt und die Augen für die den Werken innewohnende Ästhetik öffnet.

Rahel Meisel

Auf visueller Ebene setzt Rahel Meisel sich mit mythologischen Mischwesen auseinander, um der inhaltlichen Frage nach der Beziehung von Mensch und Tier und dem Tier im Menschen nachzuspüren. In ihren Graphiken und malerischen Werken stellt sie die Frau als Verkörperung des Naturzustandes, in Verbindung mit alten mythischen Figuren dar, wobei sie zwei stereotype Grundformen präsentiert: unkontrollierbare mythische Mischwesen und sanfte, durch antike Glaubensvorstellungen geprägte Vogelfrauen. Letztere Geschöpfe sind an die alte Vorstellung der Seelenvögel angelehnt und personifizieren „Freiheit“. Da die Geschöpfe etwa in dem Bild „Flucht“ in aussichtslosen Bedrängnis-Situationen, von maskulinen Gestalten umringt, dargestellt sind, bleibt auf metaphorischer Ebene die Interpretation vom Scheitern dieses Traumes nicht aus. Der tragische Moment dieser Gestalten beruht auf der Ambivalenz ihres eigentlichen Symbolgehaltes und ihrer Darstellung. Andere Mischwesen präsentieren das Bild einer archaischen „femme fatale“ im übertragenden Sinne. Nicht äußerliche, anbetungswürdige Schönheit sondern eine verstörend sinnliche und manchmal grausam-animalische Weiblichkeit wird thematisiert. Diese Wesen verführen durch ihre Verknüpfung mit der dunklen Seite, die dem fabelhaften Teil der Verbindung anhaftet und der griechischen Mythologie entspringt. Sie stehen als Symbol für dämonisch empfundene Weiblichkeit, da sie in den Überlieferungen als amoralische, männerbetörende und –mordende Kreaturen präsent sind. Das zeitgenössische Gewand wird auch diesen Arbeiten durch die einfühlsame Interpretation der Ambivalenz der Tiermenschen verliehen. Rahel Meisel porträtiert das Ungezügelte und Tierhafte ihrer Natur ebenso wie den bedauernswürdigen Aspekt ihrer Existenz – die Stigmatisierung in Form einer hybriden Gestalt, die “frevelhaften“ Menschen als Strafe von rachsüchtigen, heidnischen Göttern auferlegt wird und sie zu einem Dasein als Aussenseiter verdammt. Da zudem mythisch überlieferte maskuline Tiermenschen, wie der Minotaurus, als Feminina dargestellt sind, liegt die Vermutung nahe, dass die Künstlerin auf die kulturgeschichtliche analoge Verwendung von Tier und Frau als Wesen, denen jegliche Vernunft und Moral abgesprochen wurde, anspielt. In diesem Zusammenhang ist eine mögliche Interpretation der Arbeiten als bildhafte Befreiung des Weiblichen und des Animalischen von althergebrachten Klischeevorstellungen denkbar.

Marek Brandt

Die ausgewählten Video-Sound Installationen bilden einen Auszug aus der umfangreichen und im Wachsen begriffenen Serie „Musik für Tiere“, an der Marek Brandt seit geraumer Zeit intensiv arbeitet. Dabei gilt sein Hauptinteresse der Interaktion des Menschen mit verschiedenen Spezies, obwohl er sich auch mit der innerartlichen Kommunikation von Tieren auseinandersetzt. Er bewegt sich mit seinen Arbeiten zwischen den Medien Performance, Installation, konzeptioneller Kunst, Video und Musik. Letztere wird zum Kommunikationsmittel zwischen den Arten und zum Medium erhoben, das die Sprachbarriere zwischen Mensch und Tier zu überwinden scheint. Der Künstler sieht seine Arbeit als ironische Umkehrung der Aufmerksamkeitsökonomie, indem er für das Publikum Tier arbeitet, welches im Gegensatz zum Menschen keine Erwartungshaltung durch Prägung gegenüber dem Medium Musik entwickelt hat und somit unvoreingenommen auf Neues reagiert. Für jede Spezies hat der Künstler ein spezifisches Interaktionskonzept erarbeitet, das eine eigens für jede Art entwickelte akustische oder elektronische Form von musikalischer Kommunikation beinhaltet. Zu dieser Konzeption gehört die persönliche theorhetische Auseinandersetzung mit der Thematik und die Absprache des Vorhabens mit Wissenschaftlern, ebenso wie das Aufsuchen des Publikums in seinem natürlichen Lebensraum, in dem auch die Konzerte stattfinden und aufgezeichnet werden. In die Auswahlkriterien der Arten flossen sowohl der durch den Künstler persönlich definierte Symbolgehalt, als auch die dem Tier allgemein zugesprochene Charakteristika und die lokale Bedeutung einer Spezies ein. Viele der ausgewählten Arten sind aus der heutigen Gesellschaft nahezu verschwunden und werden durch die Arbeit des Künstlers zurück ins Bewusstsein der zivilisierten Großstädter geholt. So wird der Versuch einer Kommunikation durch Musik zwischen den Spezies, über die von Menschen gezogenen Grenzen hinaus, durch den Künstler unternommen und die metaphorische Bedeutung der Serie als Ironisierung der Geste des respektvollen Umgangs offengelegt.

Daniel Rode

In der Gestalt und Wirkung der Rauminstallationen des Künstlers Daniel Rode dominiert eine formale Strenge, die sich zusätzlich über die Klarheit der ausgewählten Materialien definiert. Diese Klarheit täuscht beinahe über die irrationale, gefühlvolle Komponente der Arbeiten hinweg. Dabei bilden persönliche Erfahrungen und Beobachtungen des Künstlers die Grundlage bei der Entwicklung der Konzeption und und spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle bei ihrer inhaltlichen Erschließung. Den Anstoß zur Schaffung des Werkes „Bastard“ gab die Beobachtung einer tragikkomischen Situation. Der Künstler war Zeuge eines Unfalls mit Todesfolge, wobei das Opfer ein Dackel war. Der Hund wurde von einem kleinen Jungen ausgeführt und lief den Bürgersteig entlang, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Frau auf dem Fahrrad vorbeifuhr, die grüßte und winkte. Der Dackel riss sich mitsamt der Leine los, lief auf die Frau zu – direkt in einen fahrenden Wagen hinein. Unmittelbar danach wurde er von einem entgegenkommenden Fahrzeug ein weiteres Mal überfahren. Ungeachtet seines sofortigen und offensichtlichen Todes, lief die Frau hinzu und schimpfte, unter Schock oder vor Verzweiflung, vorwurfsvoll auf den Tierkadaver ein. Die Umsetzung dieser Situation erfolgt durch Daniel Rode in Form einer Rauminstallation von schneidender, formaler Strenge. In einer Aufhängung, die an eine Leine erinnert, befindet sich ein kleines, kastenförmiges Objekt auf Rollen, das dem Betrachter den Eindruck einer möglichen mechanischen Bewegung vermittelt. Um dem geschaffenen Objekt etwas „Kreatürliches“ zu verleihen, das die Verletzbarkeit der leiblichen Hülle offenbart und den Eindruck vermittelt, dass ein Eingriff in den Korpus stattgefunden habe, hat der Künstler dem Objekt ein Lammfell übergestreift. Diese Einbindung einer Tierhaut in die materielle Gestaltung schafft im Kontext der Hintergrundgeschichte einen Raum, der eine emotionale Begegnung mit dem Werk ermöglicht. Der Künstler provoziert eine Assoziation von Leiblichkeit herauf, welche gerade durch die Verbindung mit der Klarheit des Objektes greifbar körperlich erscheint.

Details

Datum:
19. September 2008
Zeit:
20:00 - 22:00

Veranstaltungsort

Pöge-Haus
Hedwigstraße 20
Leipzig, Deutschland

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