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SPRECHERPROBUNGEN – SPRECHERFAHRUNGEN

kurt_mondaugen

 

Dr. Rainer Totzke (Philosoph, TU Chemnitz)
Kurt Mondaugen (Schriftsteller & Sprachperformer, Leipzig)

Wer sind wir, wenn wir sprechen? Welche Erfahrungen machen wir dabei? Können wir uns im Sprechen erproben, erfinden, experimentalisieren?
Rainer Totzke und Kurt Mondaugen versuchen im Seminar aus philosophischer und literarischer Richtung Impulse für eigene Sprecherprobungen zu geben: Sprechen anhand verschiedener Textsorten austesten, Sprecherwartungen brechen, Sprechüberforderungen wahrnehmen, Texte „umsprechen“, Sprecherfahrungen mit eigenen und fremden Text machen…

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– Sprecherprobung 13 –

Kurt Mondaugen:
„Soundcheck-Philosophie“

„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
(Martin Heidegger:Unterwegs zur Sprache, S. 309)

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“
(Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, 7)

(normalsprachlich:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(flüsternd:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(skandierend:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(murmelnd:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(fragend:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(betend:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

(schreiend:)
„Die Sprache spricht als das Geläut der Stille.“
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“

Wovon ich nicht sprechen kann, darüber kann ich immer noch: schreien, stammeln, beten, raunen, grüßen, fluchen, murmeln, danken! Es gibt eine Philosophie der Performanz und eine Philosophie der Performance! Und es gibt so etwas wie automatisches Philosophieren zur Selbsterfindung und Selbstüberwindung! Es gibt rauschhaftes Philosophieren zur Selbsttransformation… – eine Art zu philosophieren, bei der ich nicht kontrolliere, was ich sage, sondern ausprobiere, was ich spreche.
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Aber das ist doch keine Philosophie! Das sucht doch keine Wahrheit! Aber wer sagt das? Wer spricht da jetzt? Welche Stimme aus dem Off macht mich verantwortlich? Meine Stimme? Aber wer bin ich, hinter dem Rücken der Worte, die ich spreche, schreibe, kontrolliere, auswendig lerne?! Wo gelange ich hin? – Sprechanfälle, Sprechdurchfälle, Logorrhoe Philosophieanfälle: Was ist das – „Ergriffen-sein von Philosophie“? – Vom „Staunen“? Und es wieder hinstellen lernen – einfach so, und es ironisieren lernen, um es zu verstehen! Was ist das – Wahrheit?
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Wahrheit ist das, antworte ich, wofür wir sterben würden, wenn wir wer anders wären, sagt jemand. Und der radikale Zweifel selbstverständlich: wer bin ich, wenn ich spreche, das System des Sich-im-Sprechens-Vernehmens selbstverständlich, die Zitate aneinanderreihen können, ist das schon alles?! – Du mystifizierst da gerade etwas! – Das lässt sich doch klar sagen! – Und die abendländische Metaphysik?! – Um Gottes Willen …! – Der kapitalistische Verblendungszusammenhang?! – Du steigerst dich da in was rein…! – Du redest dich da in was rein und raus! – Ich zitier’ doch nur! – Aber was ist mit dem Kontext? – Alles ist mit dem Kontext! – Nein nicht alles! – Zum Beispiel?
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Gib mir ein Einsprechthema! – Beten, fluchen, grüßen, danken!!! – Und noch einmal neu anfangen mit Denken! – Aber andere haben dieses Problem nicht: zu denken und daran zu verzweifeln! – Sich einzuverleiben: all diese unsicheren Wahrheiten – dieses Sprechen! – Wer bitte soll das alles aushalten?
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Ich höre Stimmen! – Wer bin ich, mit wie vielen Stimmen spreche ich? Mit wie vielen Stimmen schwafle ich? Durch den Sprechnebel hindurch immer nur die eine Sache sagen. Den einen Satz und dann den zweiten:
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Ich ist ein anderer, werde ich sagen. Aber dabei immer kohärent bleiben und nachvollziehbar mit diesem Satz! – Und die Inferenzen ausleuchten! – Und diesen Satz zu anderen sprechen und keine Privatsprache daraus machen: Immer wieder nur diesen einen Satz sagen, bis er wahr wird. Für diesen Satz einstehen oder für den nächsten. Bis er ein Mantra wird, das uns transformiert, das uns überwindet:
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Ein liberales Mantra: Das Mantra immer wieder sprechen und zugleich daneben stehen, neben diesem Satz und spüren, wie er sich anfühlt beim sprechen, und die ewige Redundanz aushalten dabei wieder und wieder:
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Aber philosophisch doch der Wahrheit verpflichtet sein, verpflichtet bis zur Unkenntlichkeit, wovon ich nicht sprechen kann, das kann ich auf den Begriff bringen, hinter eurem Rücken. Aber auch das habe ich erst wirklich verstanden, wenn ich es ironisiert habe. Sagt mir jemand.
– „Die Sprache spricht als das Geläut der Stille. Wovon man nicht sprechen kann…“ –
Wovon man nicht sprechen kann? Wovon ich nicht sprechen kann?
– Über den Sound der Philosophie?
– Gebt mir endlich eine Soundcheckmaschine! – Damit ich weiß wovon ich rede!

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Heidegger entwickelt eine Art Kunstsprache, die in ihrer assoziativen Dimension an die Praxis mündlicher Kommunikation erinnern soll. Er nutzt in seinen Texten zum Teil bewusst mundartliche Ausdrücke (z. B. „die Gegnet“), weil die Assoziationen, die mit solchen mundartlichen, wie auch mit sprachlich veralteten Ausdrücken verknüpft sind, ihm passend erscheinen für das, was er sagen will, passender jedenfalls als die entsprechenden modernen Wörter, denn diese sind meist schon durch bestimmte metaphysische Konnotationen ‚vorbelastet’. Darüber hinaus greift Heidegger auch auf Wort-Etymologien zurück, um bekannte Ausdrücke plötzlich in einem neuen semantischen Licht erscheinen zu lassen und so die geläufigen (für Heideggers therapeutische Zwecke jeweils gerade unpassenden) semantischen Deutungen wegzuschieben. Häufig schöpft Heidegger sogar völlig neue Wörter, um beim Leser die (vermeintlich) passenden Assoziationen zu wecken, um ihm zu vermitteln, wie eine Äußerung gemeint ist. So etwa, wenn er vom Ereignis als Eräugnis spricht oder von der Vergegnis bzw. Nahnis. Heideggers Sprache hat also Experimentalcharakter. Sie ist das sich beständig wandelnde Ergebnis eines permanenten Soundchecks in Bezug auf die eigene philosophische Rede. In bestimmter Hinsicht kann man Heidegger sogar als den Erfinder dieses Soundchecks in der modernen westlichen Philosophie betrachten.

(Rainer Totzke: „Buchstaben-Folgen. Schriftlichkeit, Wissenschaft und Heideggers Kritik an der Wissenschaftsideologie“, Weilerswist 2004, S. 334)

Details

Datum:
5. September 2008
Zeit:
9:15 - 20:45

Veranstaltungsort

HGB, Raum 2.24
Leipzig,

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